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Höflichkeitstraining für Rinder

Dein Rind schiebt seine Nase gerne in deine Jackentaschen, um Leckerlis zu erhaschen oder verfolgt dich eilig über die Weide, schneidet dir den Weg ab und achtet gar nicht auf deinen individuellen Raum. Training mit Leckerlis ist gar nicht möglich, da das Rind nur auf das Futter fixiert ist und auf dich gar nicht achtet?
Dann ist Höflichkeitstraining der ideale nächste Schritt, um wieder entspannter miteinander umgehen und trainieren zu können

Wie fängt man mit dem Höflichkeitstraining am besten an ?

Um mit dem Höflichkeitstraining zu beginnen braucht man nichts weiter als einen geschützten Raum wie eine Weide, Paddock oder Laufbox mit möglichst wenig Ablenkung und am besten keinen anderen Rindern, die sich zwischendrin anschleichen, um vielleicht auch ein Leckerli zu erhaschen. Des Weiteren volle Taschen mit Leckerlis, ein überlegtes Markerwort oder einen Clicker und natürlich das Rind.
Am Besten stellt man sich neben sein Rind, sodass man nicht frontal in dessen Blickfeld positioniert ist, was auch das Abwenden für das Rind etwas erleichtert. Das Rind kann gerne wissen, dass Leckerlis am Mensch sind, dennoch sollte man sie ihm vielleicht nicht direkt vor die Nase halten.
Falls es einfach nicht aufhört an den Taschen zu zerren oder die Nase reinzustecken, empfehle ich eine Bauchtasche/Leckerlibeutel zu nehmen, den man hinter seinen Rücken machen kann. Im Idealfall hat man auch immer gleich Futter zur Hand, da das Timing in Sachen Futterhöflichkeit essentiell ist. Die Hand kann man zur Not auch einfach hinter dem Rücken halten, was den einfachen Vorteil hat, dass das Rind die Leckereien nicht aktiv sieht. Einige Rinder sind doch sehr auf die Hand fixiert, weil die ja immer das Futter gibt.
Falls es zu aufdringlich ist und man teilweise permanent rückwärtsweichen muss oder es eventuell auch mit dem Kopf boxt, ist es ratsam einen protected contact zwischen sich und dem Tier zu haben. Ein protected contact ist einfach etwas, das zwischen dem Mensch und dem Rind ist, wodurch das Rind nicht direkt zu einem gelangen kann. Das kann zum Beispiel ein Zaun oder ein Gatter sein. Somit kann das Tier dann nicht mehr direkt in deinen Bereich.
Unser Ziel ist es Verhalten belohnen, welches quasi passiv ist. Wir wollen, dass sie lernen, nach dem Futter suchen und einen Bedrängen bringt nichts. Es führt schneller zum Erfolg, wenn sie eben genau das Gegenteil tun, sich nämlich von uns wegdrehen.
Ein Verhalten wird immer nur ausgeführt, weil es sich für das Tier oder auch für den Menschen in irgendeiner Hinsicht lohnt, wenn wir es jetzt schaffen, dass das Betteln, was irgendwann vorher für das Rind schonmal zum Erfolg geführt hat, eben nicht mehr zu belohnen und ganz aktiv ein anderes Verhalten markern, bringen wir es dazu, passiv neben uns zu stehen.

 

Nullposition

Beim Höflichkeitstraining kann das zu belohnende Verhalten zum einen die Nullposition sein, welche erreicht ist, wenn alle vier Klauen auf dem Boden stehen und der Kopf gerade in einer Linie mit dem Rücken nach vorne ausgerichtet ist. Wenn das Rind jedoch sehr aufdringlich ist und es nach Minuten des Trainings immer noch nicht in der Nullposition verharrt ist, kann man alternativ auch jegliches Abwenden von einem belohnen, was ich zum Beispiel bei Rubi im Video unten gemacht habe.
Wichtig ist, sobald das Rind dann wegschaut oder in der Nullposition verharrt, clicken oder markern und dann sofort das Leckerli geben. Das Timing ist hier wichtig, dass das Rind das Click auch mit dem Leckerli verbindet. Man sagt so spätestens eine Sekunde nach dem Ertönen des Clicks sollte das Leckerli vor der Rindernase sein. Wenn der Click einmal aufgeladen ist, sprich das Rind versteht: Click=Futter, muss man sich nicht mehr so beeilen, da die Verbindung im Kopf ja schon hergestellt ist und man kann dann auch mit der Futterposition variieren.
Bei Rindern, die sehr gerne sehr nah kommen, lohnt es sich den Futterpunkt nach außen zu verlegen, sprich das Rind mit ausgestrecktem Arm weit von der Körpermitte entfernt zu belohnen.

Frust

Es kann passieren, dass das rüpelhafte Verhalten während des Höflichkeitstrainings schlimmer wird, dies ist meistens der Fall wenn Futterfrust im Spiel ist. Das Rind versteht zu Beginn natürlich noch nicht, wann es nun Futter gibt und wann nicht. Wir können es ihm ja schlecht erklären, ansonsten wäre die ganze Übung unnötig. weil das Rind einfach nicht versteht, wann es denn nun Leckerlis gibt und wann nicht, diese Unsicherheit kann zu Frust führen.
Dann kann sich wie beschrieben ein protected Contact anbieten oder man muss sein Trainingssetting überdenken.

Alternativen fürs Trainingssetting

Fallbeispiel Rubi

DISCLAIMER:

Rubi ist hier nur ein Fallbeispiel für Höflichkeitstraining, alles was ich bei ihr angewendet habe, kann in einem anderen Fall helfen, kann aber auch hinderlich sein. Dennoch denke ich, dass ein Beispiel helfen kann, um zu sehen, wie so ein Training aussehen kann oder auch, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wenngleich es keine Trainingsanleitung ist, denn Tiere sind genauso individuelle Wesen wie wir Menschen auch.

Ein paar Worte vor dem Video:

Ich kannte Rubi und konnte damit ihr Verhalten zu jedem Zeitpunkt einschätzen. Sie war sehr aufdringlich und in anderen Fällen hätte ich definitiv mit einem protected contact gearbeitet, um meinen eigenen Schutz zu gewährleisten, denn wie man im Video sieht hat auch kein Positionswechsel sie davon abhalten könnten, mir immer wieder auf die Pelle zu rücken.
Des Weiteren hat Rubi während des Trainings Anzeichen von Frust gezeigt und wollte teilweise aktiv Leckerli einfordern. Das kann gefährlich werden, war bei Rubi allerdings noch im Rahmen, wodurch ich bei diesem Trainingssetting geblieben bin und es nicht geändert habe.
Ich habe hier ganz bewusst auch nicht die Nullposition belohnt, sondern jegliches von mir abwenden, um die Belohnungsintervalle kurz zu halten und ein schnelleres Lernen zu bewirken, wodurch ich dem Frust minimal entgegenwirken konnte.
Die Trainingssession ist natürlich verschnellert und gekürzt. Im Original haben wir 30 Minuten gearbeitet, dabei habe ich darauf geachtet, dass Rubi zu jeder Zeit aktiv dabei war und aufgehört, als ich das Gefühl hatte, sie hat nun verstanden, was ich von ihr wollte. Natürlich ist es mit einem Mal Training nicht getan. Um das Verhalten zu festigen, braucht es wie bei jedem Lernen, mehrere Widerholungen, dennoch kann man im Video sehen, dass man relativ schnell gute Ergebnisse erzielen kann, wenn man konsquent und geduldig dabei ist.

Viel Spaß beim Video 🙂

Weiteres Höflichkeitstraining

In den nächsten Sessions würde ich das ganze verfestigen, da es wie beschrieben ja von einem Mal noch kein festsitzendes Verhalten ist. Außerdem würde ich mehr auf Abstand üben. Sie kam jetzt immer noch sehr nah und blieb dicht bei mir stehen. Ich hätte dann mit ihr geübt, dass der Futterpunkt einfach weiter außen liegt